Noch bis weit in die neunziger Jahre hinein galt der Küstenort Chiclana – und mit ihm die gesamte Costa de la Luz – als eine Art armer Verwandter der benachbarten Costa del Sol. Zu viel Wind, zu abgelegen, zu viele militärische Sperrzonen, schlechte Verkehrsanbindung, dies waren die Hauptargumente der großen Reiseveranstalter, um die Provinz Cádiz und mit ihr die "Küste des Lichts" links liegen zu lassen. Doch insbesondere in den vergangenen sechs Jahren hat sich dieses Bild grundlegend gewandelt. Chiclana gilt heute als einer der angesagtesten Ferienorte der Iberischen Halbinsel, eingebettet in eine paradiesische, unverbaute Atlantik-Landschaft aus schier endlosen Dünenstränden und dichten Pinienwäldern, dazwischen einer der besten 36-Loch-Golfplätze Europas, Meerblick inklusive. Der große, von kurzsichtiger Spekulationswut getriebene Tourismus-Boom, der insbesondere in den späten 60-er und frühen 70-er Jahren an der benachbarten Costa del Sol ausgebrochen war, hier hat er nie stattgefunden. Doch für Chiclana und die gesamte Lichtküste war diese Entwicklung ein Segen, wurden doch so hierzulande nie jene abschreckenden urbanistischen Sünden begangen, die heute dazu führen, dass nicht nur die spanische Hautevolee sich zunehmend von Marbella & Co. abwendet, um sich Richtung Provinz Cádiz zu orientieren, wo es einfach dezenter und eleganter zugeht. Schon macht das geflügelte Wort von der "Karibik Europas“ die Runde, wenn von der Costa de la Luz und ihrer heimlichen touristischen Hauptstadt Chiclana die Rede ist.
Chiclana - Eine Stadt entwickelt sich
Boom Town an der Küste des Lichts
Wohl kaum eine andalusische Stadt hat in den vergangenen Jahren einen solch radikalen Wandel vollzogen wie Chiclana. Allein im Zeitraum seit 1995 ist die Bevölkerung um gut 35%, auf heute rund 70.000 Einwohner angewachsen. Fast die Hälfte der Erwerbstätigen ist direkt oder indirekt vom Tourismus abhängig, der Rest arbeitet in der stark prosperierenden Bauindustrie oder im Einzelhandel. Chiclana ist das Einkaufszentrum für die ganze Region, nirgendwo sonst gibt es eine höhere Konzentration an Super- und Baumärkten, Möbelgeschäften oder Autohändlern. Längst haben sich auch Lidl und Co. hier niedergelassen, suchen händeringend nach jungen Führungskräften für die Eröffnung weiterer Filialen. Chiclana ist eine Boom Town und dies liegt nicht nur an der stetig wachsenden Zahl ausländischer Urlauber und Residenten. Seit der Küstenort per Schnellstraße und Autobahn mit der rund 20 Kilometer entfernten Provinzhauptstadt Cádiz verbunden ist, wählen immer mehr junge Gaditanos, gemeit sind die Einwohner der Stadt Cádiz, das wesentlich billigere Chiclana als Wohnort, nicht ganz freiwillig, sind doch die Immobilienpreise in ihrer Heimatstadt ins Astronomische gestiegen. Dass der Wachstumsmotor in Chiclana tüchtig brummt, wird dem Reisenden spätestens bei einem Bummel durch die Fußgängerzone bewußt, die zu jeder Tageszeit vor Menschen überquillt.
Chiclana muss erkundet werden
Ein Rundgang durch die Stadt
Erste Anlaufstelle für Touristen oder Neu-Residenten ist die ganz am Ende der Fußgängerzone, bereits nahe am Fluss gelegene Oficina de Turismo, das Städtische Fremdenverkehrsbüro in der Strasse Alameda del Rio s/n. Dort geht es fast so hektisch zu wie auf dem Züricher Parkett, die beiden französischen Touristik-Studentinnen, die hier ihr Praktikum absolvieren, kommen bereits morgens um zehn tüchtig ins schwitzen. Dennoch ist der Empfang überaus freundlich, der Globetrotter wird mit vielen Tipps und ausführlichem Infomaterial versorgt. In den Sommermontaten ist übrigens in Novo Sancti Petri eine Außenstelle des Fremdenverkehrsbüros in Betrieb.
Ein Rundgang durch Chiclana de la Frontera kann nun beispielsweise im nahe gelegenen Städtischen Stierkampf-Museum, dem Museo Taurino Municipal, in der C/San Agustín, 3 von Chiclana beginnen. In dem kleinen, direkt neben einem Foto-Geschäft liegenden Museum dreht sich alles um den Torero Francisco Montes Paquiro, einem der berümtesten Söhne Chiclanas, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus dem Stierkampf eine Art Wissenschaft machte und in diesem Zusammenhang auch eine Reihe neuer Techniken erfand, die heute ihren festen Platz im Regelwerk der Corridas, der Stierkämpfe gefunden haben. Unter anderem ist hier das Original-Arbeitszimmer des Meisters aufgebaut. Das auf eine Privatinitiative zurückgehende Museum ist mit viel Liebe zum Detail gemacht und kann auch für Nicht-Siterkampfexperten interessant sein.
Das Puppenmuseum von Chiclana
Wer mit der Geschichte des professionellen Erlegens unschuldiger Kampstiere eher nichts am Hut hat, dem sei ein Besuch in Chiclanas Puppenmuseum, dem Museo de Muñecas Marín, gelegen in der C. Arroyelo 16 und geöffnet Mo – Sa, 9.00 bis 13.00 Uhr)geraten. Das Puppenmuseum Marín gehört zum gleichnamigen Traditionsunternehmen, das am Produktiosstandort Chiclana das wohl weltweit bekannteste spanische Souvenir herstellt: die Flamenco Puppe, eine Gitanilla. Das von vielen Daheimgebliebenen gefürchtete Mitbringsel wird hier noch in detailverliebter Handarbeit produziert: vom Design der verschiedenen Puppenmodelle, über das Bemalen der Gesichter, bis hin zum Nähen der winzigen Modellkleidchen, der gesamte Herstellungsprozess vollzieht sich in Chiclana, garantiert ohne das Zutun chinesischer Gulag-Insassen. Die Tradition des 1984 verstorbenen Firmengründers José Marín Verdugo, der in den 30-er Jahren aus dem Nichts, nur mit einem Bauchladen in Madrid angefangen hatte, wird heute von dessen Tochter, Ana Marín, fortgeführt, die die Besucher des Museums persönlich empfängt. Noch bis weit in die 60-er Jahre hinein war die Marín Puppenfabrik der wichtigste industrielle Arbeitgeber in Chiclana.
Chiclana und der Wein
Wo ist der Ursprung des Weines ?
Die Einheimischen behaupten, dass die Ursprünge der gaditanischen Weinproduktion nicht in Jerez, sonderen in Chiclana liegen, seien doch hier und nicht in der ungeliebten Nachbarstadt die traditionellen Produktionsmethoden für die Herstellung der im Ausland als Sherry bezeichneten Fino Weine ersonnen worden. Wie dem auch sei, der Besuch einer der zahlreichen lokalen Bodegas, der Weinkellereien gehört zum Pflichtprogramm eines jeden Besuches in Chiclana de la Frontera. Aus einer subjektiven Sichtweise empfieht es sich hierfür beispielsweise die malerischen Bodegas Miguel Guerra in der C. Mendaro 16, die noch ganz im Stil des 19. Jahrhunderts gehalten sind. Die Spezialität des Hauses ist der Fino Palillo, ein sehr trockener aber dennoch leicht fruchtiger, bernsteinfarbener Sherry Wein, den man hier nicht nur kosten, sondern natürlich auch kaufen kann.Wem der Fino Palillo jetzt schon den Magen geöffnet hat, der ist in der gleich gegenüber liegenden Tapa Bar Casa Adolfo bestens aufgehoben. In der Küche dieses bereits 1961 gegründeten Traditionslokals, in dem hauptsächlich einheimische Geschäftsleute verkehren, entsteht beste andalusische Hausmannskost, wie man sie heute leider nur noch selten findet. Ein absoluter Traum sind die Papas Alineás con melva ein andalusischer Kartoffelsalat mit Makrelenfilet oder das einmalige Lomo en Manteca, das ist Schweinelendchen im Schmalzmantel, das so zart ist, dass es auf der Zunge zergeht. Dazu ein gut gekühlter Fino Sherry oder eine frisch gezpapfte Caña, ein kleines, eiskalt serviertes Bier und man ist wieder genügend gestärkt, um die Tour durch Chiclana de la Frontera mit dem Besuch einiger historischer Gebäude abzurunden.
Ein Blick in die Vergangenheit von Chiclana
Auf den Spuren der Geschichte
Der Zeitraum zwischen dem 16. und den ersten zwei Dritteln des 17. Jahrhunderts war nicht nur für das spanische Weltreich, sondern auch für Chiclana das Goldene Zeitalte das Siglo de Oro schlechthin, eine Epoche, die eine ganze Kunst- und Literaturgattung hervorgebracht hat. Im benachbarten Cádiz ließen sich viele im Kolonialhandel tätige genuesische Kaufleute nieder, deren architektonischer Geschmack die ganze Region stark beeinflusst hat. Ein besonders schönes Beispiel hierfür ist etwa die ab 1667 entstandene barocke Kirche Iglesia y Convento de Jesús Nazareno, die Klosterkirche des Jesus von Nazaret, C. Larga. Das Eingangsportal des Kirche, mit seinen gewundenen Säulen aus blass rosafarbenem Carrara Marmor, gilt als das schönste seiner Art in der ganzen Provinz Cádiz. Im Innern lohnt ein Blick auf den ebenfalls ganz in der Tradition des andalusischen Barock gefertigten Altaraufsatz. Das 1674 fertig gestellte Bauwerk wurde von einer Gruppe aus Cádiz Stadt stammender, im Handel mit Amerika reich gewordener Kaufleute gespendet, eine seinerzeit durchaus übliche Praxis, die – neben dem damit einhergehenden Prestigegewinn – hauptsächlich dazu diente, sich mit dem Segen der Kirche von seinen diversen Sünden reinzuwaschen. An der Plaza Mayor, mitten im Zentrum von Chiclana, liegt die imposante Iglesia Parroquial San Juan Bautista, die Johannes der Täufer Pfarrkirche, die eher an die Münchner Oper, als an eine Kirche erinnert. Das neoklassizistische Bauwerk mit seinen drei Kirchenschiffen enstand zwischen den Jahren 1773 und 1820 und fällt insbesondere wegen seines nicht vorhandenen Kirchturmes auf. Im Innern finden sich zwei besonders schöne Gemälde aus der Schule des berühmten spanischen Barock Malers Fancisco de Zurbarán (1558-1664). Gleich neben der oben beschriebenen turmlosen Johannes der Täufer Pfarrkirche steht mit der Torre de Reloj, der Uhr-Turm, ein Überbleibsel des alten Rathauses von Chiclana. Der Turm, im Volksmund Arquillo de Reloj, im Deutschem "Uhr-Bögelchen“, übernimmt heutzutage die Funktion des Geläuts für die benachbarte Iglesia Parroquial San Juan Bautista.
Ein Blick ins Umland
Einen sehr schönen Blick über die ganze Stadt und weite Teile des Umlandes hat man von der Ermita de Santa Ana, der Kapelle der Heiligen Ana aus, die an der gleichnamigen Straße, Santa Ana, ganz im oberen Teil Chiclanas liegt. Die ebefalls eindeutig vom Klassizismus beeinflusste Wallfahrtskirche, die in einen achteckigen Wandelgang eingebetettet ist, entstand in den Jahren 1772 bis 1774. Im Innern der kleinen Kirche stößt der Reisende auf ein typisches Beispiel für die in ganz Andalusien weit verbreitete Mischung aus intensiver Marien Verehrung und volkstümlichem Aberglauben: fast etwas versteckt, an der hinteren linken Wand neben dem Haupteingang, sind zwei mit allerlei Krimskrams gefüllte Glasvitrinen angebracht, deren Inhalt man als Außenstehender zunächst nicht mit den Riten der Katholischen Kirche in Verbindung bringen würde: Pass-Fotos, Kopien von Ausweispapieren, Führerscheinen oder sonstigen Dokumenten, kleine Plüschtiere, Schlüsselanhänger und immer wieder Schlüssel in jeglicher Form. Schließlich lässt man sich von einem Einheimischen darüber aufklären, was es mit diesem exotischen Brauch auf sich hat. Die Gläubigen, so erzählt er dann, die in der Santa-Ana-Kapelle die Heilige Jungfrau anbeten, deponieren hier Gegenstände, die einen meist sehr wichtigen, intensiven Wunsch repräsentieren. So symbolisiert beispielsweise ein Schlüsselbund die Sehnsucht eines Gläubigen, der Himmel möge ihm eine bezahlbare Wohnung schicken, eines der wichtigsten Statussymbole in Spanien. Mit der Kopie eines Führerscheins bitten Fahranfänger die Heilige Jungfrau um das Bestehen der Prüfung, usw. usw. Das Ganze ist, wie gesagt, sehr "typical Spanish". Die Schlüssel zu diesen "Wunsch-Schreinen" bewacht übrigens eifersüchtig eine Greisin, die im hinteren Teil der Kapelle wohnt und die auch ansonsten dafür sorgt, dass hier alles mit rechten Dingen zugeht.Und so wird uns, am Ende der Entdeckungsreise durch Chiclana de la Frontera, einmal mehr bewusst, dass man hier, nur binnen eines Tages, aus der Moderne in längst vergangene Zeiten gelangt.